Bezirksgericht Thalgau verabschiedet sich

Veröffentlichungsdatum15.11.2022Lesedauer4 Minuten
Ein Gebäude mit vielen Fahnen auf dem Dach

Nach über 750 Jahren verliert die Marktgemeinde Thalgau am 28.2.2023 mit der Zusammenlegung der Bezirksgerichte Thalgau, Neumarkt und Oberndorf am neuen Standort Seekirchen seine Eigenschaft als Gerichtsstandort. Das Bezirksgericht war prägend für den Ort, zumal auch das Schildlein im Wappen der Marktgemeinde Thalgau das Wappen der ehemaligen Gerichtsherren der Herren von Wartenfels (stehender naturfarbener Steinbock im blauen Feld auf grünem Boden) zeigt.

Zur Zeit des heiligen Rupert wurde Thalgau der Salzburger Kirche übergeben und von hier aus die Gebiete der Osterhorngruppe und am Wolfgangsee siedlungsmäßig und kirchlich erschlossen. Die Mutterpfarre Thalgau übte ab dem 12. Jahrhundert als Sitz eines erzbischöflichen Urbaramtes auch die Gerichtsbarkeit über diesen erzbischöflichen Besitz aus. Konrad von Kahlham wurde vom damaligen Erzbischof Ulrich im Jahr 1259 mit Thalgauegg belehnt und errichtete dort die Burg Wartenfels, wo er auch Gerichtsherr über Thalgau, Hof, Fuschl, Ebenau, Faistenau und Hintersee sowie das salzburgische Gebiet am Wolfgangsee war. 1326 wurden die heutigen Gemeinden St. Gilgen und Strobl dem Pfleggericht Hüttenstein unterstellt, welches allerdings häufig in Personalunion mit Wartenfels geführt wurde. Dieses Gericht wurde später als Bezirksgericht St. Gilgen fortgeführt und letztlich erst im Jahr 2003 wieder dem Gerichtssprengel Thalgau zugeschlagen. Im Jahr 1548, Amerika war gerade erst entdeckt und die Reformation begann sich in Europa auszubreiten, wurde erstmals in der Ortschaft selbst weltliche Gerichtsbarkeit ausgeübt, als das damalige Pflegegericht von der Burg Wartenfels in den Ort verlegt wurde. Das Gerichtsgebäude wurde  1755-1757 unter Fürsterzbischof Sigismund von Schrattenbach auf freiem Feld, südöstlich der damals erneuerten Kirche errichtet. Das Grundstück bekam mit Einführung des Grundbuchs rund 100 Jahre später die Einlagezahl 1, das Bauwerk die Hausnummer Thalgau 1, jetzt Wartenfelserstraße 7. Erster Richter im neuen Gebäude war Ludwig Gottfried von Moll, der Vater des Naturforschers und Juristen Carl Ehrenbert Freiherr von Moll, der 1760 im Gerichtsgebäude Thalgau geboren wurde. Als zu Beginn des 19. Jahrhunderts Salzburg seine Eigenständigkeit als Fürsterzbistum verlor, wurde nach kurzem bayrischen Intermezzo die österreichische Gerichtsbarkeit mit dem noch heute gültigen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch eingeführt. In den 1830er-Jahren wurde hinter dem Gericht das ehemalige Gefangenenhaus, die Fronfeste, errichtet, die zuletzt nur noch als Aktenlager diente. Infolge der Revolutionen 1848 wurde Salzburg innerhalb Österreichs wieder selbstständiger und das Gericht schließlich in Bezirksgericht Thalgau umbenannt. Dessen Sprengel umfasste die damaligen Gemeinden Thalgauberg, Thalgau, Hof, Ebenau, Fuschl, Faistenau und Hintersee. Gerichte wurden damals örtlich so eingerichtet, dass man mit einem Ochsenkarren an einem Tag aus dem gesamten Sprengel zum Gericht und wieder zurück fahren konnte. 1867 wurde das Bezirksgericht Thalgau bereits einmal im Zuge einer neuen Gerichtsordnung aufgelassen, nach einem heftigen Bürgerprotest im Jahr 1869 jedoch wiederhergestellt. Das damals dem k.k. Aerar (kaiserlich-königlich) gehörende Gerichtsgebäude wechselte 1929 ins Eigentum des österreichischen Bundesschatzes, gehörte ab 1940 der deutschen Reichsjustizverwaltung und seit 12.3.1949 ist das Eigentumsrecht für die Republik Österreich einverleibt, zuletzt konkret für die Bundesimmobiliengesellschaft. Das Obergeschoß des Gerichtsgebäudes diente von 1757 bis 2002 als Wohnraum für Richter und Rechtspfleger. Durch die Aufnahme des früheren Bezirksgerichts St. Gilgen mit 1.1.2003 wurden die Wohnungen aufgelassen und die Räumlichkeiten des Bezirksgerichts erstreckten sich auf die gesamte Fläche des Gebäudes.

Zuletzt waren am Bezirksgericht Thalgau zwei Richter, drei Rechtspfleger, ein Gerichtsvollzieher, drei Vollzeitkanzleikräfte und drei Teilzeitkanzleikräfte beschäftigt. Das Bezirksgericht Thalgau war für die insgesamt gut 35.000 Einwohner der Gemeinden Thalgau, Eugendorf, Hof, Plainfeld, Koppl, Ebenau, Faistenau, Hintersee, Fuschl, St. Gilgen und Strobl in bürgerlichen Rechtssachen zuständig für Klagen mit einem Streitwert von bis zu 15.000 Euro, Ehescheidung, Obsorge, Kontaktrecht, Unterhalt, Vaterschaftsfeststellung, Adoption, Erwachsenenvertretungen, Besitzstörung, wohn- und mietrechtliche Streitigkeiten, Grenz- und Nachbarschaftsstreitigkeiten. Darüber hinaus war es Grundbuchsgericht, Exekutionsgericht und zuständig in Strafsachen für Vergehen, die nur mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr bedroht sind (zB Körperverletzung, Sachbeschädigung, Diebstahl, Betrug). All diese Aufgaben werden im Sinne einer dem heutigen Zeitgeist folgenden notwendigen Spezialisierung der Gerichtsbarkeit  ab 1.3.2023 durch das neuerrichtete Bezirksgericht Seekirchen am Wallersee, Amanda-Hübsch-Straße 1, 5201 Seekirchen am Wallersee, unter der Leitung des Vorstehers des Bezirksgericht Mag. Martin Prokop übernommen. Der neue Gerichtssprengel setzt sich aus den Gebieten der ehemaligen Bezirksgerichte Thalgau, Oberndorf und Neumarkt sowie den beiden Hallwang und Elixhausen mit nunmehr insgesamt über 120.000 Einwohnern zusammen. Möge nun noch die Verbesserung der Gerichtsorganisation auch mit einer Verbesserung der Anbindung des neuen Standortes mit öffentlichen Verkehrsmitteln aus dem gesamten Gerichtssprengel einhergehen, sodass der Fortschritt gegenüber den Ochsenkarren des Jahres 1848 in allen Bereichen deutlich sichtbar wird.